Müller, Hans-Dieter (1.5.1927-6.7.1986)
Hans-Dieter Müller war Teil der im Faschismus aufgewachsenen Kriegsgeneration. Er war auf einer der Nazi-Eliteschulen (NAPOLA) und wollte in der Endphase des Krieges als Jugendlicher den Führer als Flakhelfer und auf einem Minensuchboot retten. Die Frage danach, wie wuchtige Systeme eine solche sozialisierende und manipulative Kraft entwickeln können, dass Menschen aus scheinbar freien Stücken heraus zu heute schwer nachvollziehbaren Taten fähig sind, hat Hans-Dieter Müller sein Leben lang bewegt. Wir haben solche Probleme häufig und intensiv diskutiert, auch bei vielen gemeinsamen Segeltouren. Hans-Dieter Müllers massives Engagement für den Frieden hatte eine Basis in seiner eigenen Kriegserfahrung. Der SPIEGEL schrieb in einem Nachruf: „Der praktizierende Parteilinke war konsequenter Rüstungsgegner und entschiedener Befürworter eines schnellen Ausstiegs aus der Atomenergie.“
Seinen hohen Bekanntheitsgrad in der außerparlamentarischen Opposition des Jahres 1968 verdankte Hans-Dieter Müller seiner in der Mitte der sechziger Jahre begonnenen kritischen Analyse des Springer-Konzerns und der BILD-Zeitung. Müllers Buch erhielt 1968 (Zeit der Anti-Springer-Kampagne der Studentenbewegung) in mehreren Folgen des SPIEGEL einen Vorabdruck und wurde z. B. von Kurt Becker in der ZEIT (etwas zu) kritisch gewürdigt.
In Ulm war "HDM" Leiter des Instituts für Filmgestaltung zusammen mit Alexander Kluge, der sich an seinen Freund erinnert als einen der Menschen, „die seit den 60er Jahren den Flügel der Neuerer in der Bundesrepublik angeführt haben“. Die 1968 produzierten Dokumentarfilme zur Studentenbewegung haben zu Müllers guter Vernetzung in der damaligen APO beigetragen - die Kontakte waren sehr hilfreich beim Aufbau der neuen Bremer Universität.
Nach Bremen kam Hans-Dieter Müller an die neue Universität zunächst als persönlicher Referent des Gründungsrektors und Leiter der Pressestelle, später wurde er Abteilungsleiter. Hans-Dieter Müller arbeitete an der politischen Schnittstelle zwischen kritischer Wissenschaft, Gewerkschaften und Bremer SPD, zu deren Spitzen er beste Kontakte hatte. Er hat den Aufbau der Universität durch sein Wirken "hinter den Kulissen" geprägt wie nur wenige andere; der Bildband "Lichtspuren" zu 40 Jahren Uni Bremen vermerkt: "Entsprechend war es in Bremen auch der 'informelle Müller', nicht der amtliche, der die Fäden zog, sie reparierte, richtete, die Konflikte entschärfte, andere Horizonte nahelegte." (S. 125).
Die Entwicklung und Ausgestaltung des Kooperationsbereichs zwischen Uni und Arbeiterkammer war seit 1971 sein zentrales Anliegen. 1978 wurde er Direktor in einem Teil des Kooperationsbereichs und verteidigte die innovative Arbeit des "Denktanks" immer wieder gegen viele Angriffe auch aus den Reihen von Gewerkschaften und SPD.
Seit 1980 war Hans-Dieter Müller Unterbezirksvorsitzender Bremen-Ost der SPD; er starb 1986 kurz nach seiner Wahl zum SPD-Landesvorsitzenden. Diese formellen Positionen in der Politik liefern aber nur einen bescheidenen Hinweis auf seine informelle Rolle. Wenn in seiner quasi-offiziellen Biografie darauf verwiesen wird, er sei seit 1975 zusammen mit Klaus Wedemeier Koordinator der SPD-Linken in Bremen gewesen, erklärt das schon mehr. Wedemeier wurde 1985 für 10 Jahre Bürgermeister und Ministerpräsident des Bundeslandes. Ihm folgte für weiter 10 Jahre (1995-2005) Henning Scherf, ebenfalls Mitglied dieses von Müller koordinierten Kreises.
Hans-Dieter Müllers grosser "Standortvorteil" in der (Bremer) SPD-Politik war: er wollte nichts werden, und er musste nichts werden. Er hat das Angebot, Staatssekretär (damals: Senatsdirektor) für Bildung, Wissenschaft und Kunst zu werden, abgelehnt - das war inkompatibel mit einer führenden Parteifunktion in der mit absoluter Mehrheit regierenden Bremer SPD. Es ging ihm um Inhalte und Einfluss, nicht um Funktionen und öffentlichen Ruhm. Ein besonderes Anliegen war ihm die innerparteiliche Bildungsarbeit, die er in den sechs Jahren als Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Bremen-Ost massiv vorangebracht hat. Es gab unter seiner Leitung ein Team, das Konzepte für Wochenendseminare entwickelt und umgesetzt hat. Dabei wurde besonderer Wert auf die SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AFA) gelegt, um eine möglichst enge Beziehung von eher akademisch geprägten "Parteilinken" und den eher "traditionellen" Gewerkschaftern zu fördern.
Hans-Dieter Müller war in der Zeit vor dem Internet das, was man heute den Knoten im Netzwerk nennt. Gestützt hat er sich auf seinen "Denktank" im Kooperationsbereich zwischen Universität und Arbeiterkammer, dessen Personal er (schon vor seiner Direktoren-Rolle) rekrutiert hat. Politisch koordiniert hat er den Kreis derer, die später Ministerpräsidenten, Senatoren und Abgeordnete wurden.
Hans-Dieter Müller hat sich immer selbst als Person in die Diskussion eingebracht; in dem Sinne gab es keine Trennung zwischen dem Direktor an der Universität, dem Politiker und dem Privatmann. Die von ihm und seiner Frau gekaufte alte Schule in Harrendorf bei Hagen in der Nähe von Bremen wurde schnell zu einem Zentrum der kreativen Diskussion. Hier gab es viele Wochenendseminare; dabei kam es vor, dass die Vorsitzenden der Betriebsräte nahezu aller großen Bremer Metallbetriebe versammelt waren und der Ministerpräsident/Bürgermeister (damals Hans Koschnick, zeitweilig immerhin stellvertretender SPD-Bundesvorsitzender unter Willy Brandt) unangekündigt am Samstagabend zum Bier erschien.
Eine Kurzfassung dieses Textes wurde von der Bremer SPD als historisches Kalenderblatt veröffentlicht.