Foto Edgar Einemann Prof. Dr. Edgar Einemann

Krieg, Frieden und Afghanistan

Zum Glück gibt es in Deutschland in der Bevölkerung und bei vielen politischen Aktivisten eine traditionelle Skepsis gegenüber Rüstung und Krieg. Das wurde deutlich z. B. bei der Bewegung gegen die Wiederaufrüstung in den fünfziger Jahren (basierend auf den deutschen Kriegserfahrungen), in der außerparlamentarischen Opposition der sechziger Jahre (mit der Ablehnung des US-Krieges in Vietnam) und bei der Friedensbewegung der achtziger Jahre (mit der Ablehnung der atomaren Aufrüstung auch auf deutschem Boden). Für den von der rot-grünen Bundesregierung unter Schröder und Fischer beschlossenen Kriegseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan hat es nie Mehrheiten in Umfragen gegeben, und die Mitglieder und basisnahen Funktionäre von SPD und GRÜNEN sind vorsichtshalber nie offiziell um ein Votum gebeten worden.

Peter von Oertzen, über Jahrzehnte ein führender (linker) Sozialdemokrat (u. a. Landesminister und Präsidiums-Mitglied) hat einmal zur Überraschung vieler erklärt, er sei nie Pazifist gewesen. Auch wenn der Gedanke nicht leicht fällt: es gibt militärische Interventionen, die „gut“ sind. Dazu gehört sicherlich das Eingreifen des US-Militärs am Ende des 2. Weltkriegs, weil hier den deutschen Angriffskriegen gegen andere Völker und der Herrschaft eines Diktators ein Ende gemacht wurde. „Böse“ ist eine Militär-Intervention, wenn sie z. B. der Unterdrückung eines Volkes und der  Demokratie dient. Wenn man so diskutiert, geht es um Wertmaßstäbe und nicht um die Ablehnung jeglicher Gewalt als Grundsatzposition. Freiheit, Demokratie und Frieden verdienen auch militärischen Schutz, Diktaturen oder bestimmte ökonomische Systeme nicht. Deutsche Kommunisten in Ost und West haben 1968 ernsthaft den unter (ost-)deutscher Beteiligung erfolgten Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in Prag und die Beendigung des „Reformkommunismus“ unter Dubcek verteidigt; zur Begründung wurde angeführt, ausländische Agenten wollten das Land aus dem sozialistischen Block herausbrechen und den Kapitalismus einführen. Viele dieser „Friedensfreunde“ aus SED und DKP sind heute bei der LINKEN und waren angeblich schon immer gegen den Krieg.

In Afghanistan scheint es ja nun zu einem Abzug der ausländischen Truppen einschließlich der Bundeswehr zu kommen. Manch einer erinnert sich, wie Kurt Beck als SPD-Chef für seine Idee kritisiert wurde, mit den Taliban zu verhandeln. Jetzt gibt es wohl nicht mehr viel zu verhandeln und das Land dürfte den Taliban bald in die Hände fallen.

Frank Ledwidge hat sich um eine Bilanz des britischen Engagements in Afghanistan bemüht und dazu ein Buch („Investment in Blood“) geschrieben, über das u. a. der New Statesman berichtet. In einem Interview mit dem Korrespondenten Alexei Makartsev hat er seine Erkenntnisse prägnant zusammengefasst; ein Abdruck ist am 24.7.2013 in der Print-Ausgabe (S. 3) des Bremer Weser-Kurier erschienen, ein Abdruck in der Schwäbischen Zeitung wird zumindest nicht von jedem Browser angezeigt. Ledwidge behauptet, der Krieg in Afghanistan würde das Vereinige Königreich insgesamt ca. 40 Milliarden Pfund kosten, 444 Soldaten seien gestorben und es habe wohl 500 zivile Opfer des Kriegseinsatzes gegeben. Ledwidge sagt, nach Schätzungen der CIA würden sich ca. 50 Mitglieder des Terror-Netzwerks Al Kaida in Afghanistan verstecken – wahrscheinlich weniger als in Großbritannien. Es wären tausende junger Afghanen getötet worden, von denen viele nur ihr Heimatland verteidigen wollten – und die Zeit arbeite für die Taliban. Die Macht der Drogenbarone sei gestärkt worden. „Die Produktionsmengen von Rohopium sind stark gestiegen. Allein die Provinz Helmand (in der die britischen Truppen stationiert sind, d. Red.) deckt heute 50 Prozent der weltweiten Nachfrage ab“.

Ledwidge findet die offiziellen Begründungen der britischen Regierung für den Krieg nicht überzeugend und vermutet: „In Wahrheit haben wir diesen Krieg geführt, um unsere strategische Allianz mit den USA fortführen zu können. Natürlich hat auch die Rüstungsindustrie davon profitiert“.

Mit dem (hoffentlich) nahenden Ende des Einsatzes deutscher Truppen in Afghanistan sollte eine kritische Diskussion der Bedingungen von Bundeswehreinsätzen im Ausland erfolgen. Allerdings wird sich auch die pazifistische Linke an den Gedanken gewöhnen müssen, dass es so etwas wie eine „Weltpolizei“ geben muss, und dass es deutsche Beteiligungen an internationalen militärischen Aktionen geben kann. Allerdings ist hier im Angesicht der deutschen Geschichte eine besondere Zurückhaltung geboten, und eine strategische Allianz ist kein Wert an sich. Das hat Rot-Grün unter Schröder und Fischer ja beim Irak-Krieg für Deutschland erfolgreich demonstriert und sich damit große Verdienste erworben.