Edgar Einemann

Staatsgeheimnis Bankenrettung

Der Film wurde am 26.02.2013 auf ARTE ausgestrahlt. Es geht um die Frage, wohin eigentlich die Hilfsgelder für die Bankenrettung geflossen sind und wer sie (auch am Ende) bezahlt. Der Film hat eine Länge von 52 Minuten und basiert auf Recherchen des Tagesspiegel-Redakteurs Harald Schumann, der auch in Irland, Spanien und auf Zypern prominente Experten befragen konnte. Die Kernbotschaft des Films lautet: In der Finanzkrise gerettet werden nicht die kleinen Leute, sondern die Banken auf Kosten der Steuerzahler – akut der Steuerzahler in den Krisenländern, längerfristig wahrscheinlich auch auf Kosten der Steuerzahler in den „reicheren“ Ländern.

Herausgearbeitet wird die Schlüsselrolle der Europäischen Zentralbank (EZB), die ohne Zustimmung des deutschen Direktors Jörg Asmussen und ohne Billigung der Bundesregierung nicht so agieren könnte, wie sie agiert (hat). Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, Jörg Asmussen und der spanische Wirtschaftsminister Luis de Guindos erklären etwas verklausuliert den politischen Hintergrund und das Leitmotiv der staatlich initiierten Aktivitäten – letztlich zur Rettung des Weltkapitalismus.

Assmussen rechtfertigt rechtlich durchaus zweifelhafte Maßnahmen der EZB als unvermeidlich zur Rettung der Währung (deren Existenz ja die Voraussetzung für die Lösung der weiteren Aufgaben der EZB ist), Schäuble will (durch die Verschiebung von öffentlichen Milliarden zu den Banken) einen Zusammenbruch des gesamten Systems vermeiden (weil die Banken miteinander verflochten sind und es bei einer Bankenpleite die Gefahr einer Ansteckung und folgender Kettenreaktion mit weiteren Banken-Pleiten gibt), und der spanische Wirtschaftsminister erläutert die wirkliche Bedrohung sehr plastisch: es gehe nicht um die Vermeidung einer Entwicklung wie nach der Lehmann-Pleite (das war schon schlimm genug), sondern um die Verhinderung eines Zusammenbruchs der Weltwirtschaft wie in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts. Selbst wenn man diese Prämisse teilt: Ist denn wirklich jede Bank für die globale Ökonomie systemrelevant?

Und wenn schon jemand für Fehlinvestitionen bezahlen muss, wer ist denn bisher wie belastet worden: die Spekulanten, die Sparer - oder die jetzigen und zukünftigen Steuerzahler? Und welche Steuerzahler in welchen Ländern in welcher Höhe wofür? Und: was droht in Zukunft?

Der Film versucht, „Spuren der Gelder“ nachzuverfolgen, die im Gefolge der Bankenrettung geflossen sind. Bei der Klärung der Frage, wer denn von den Zahlungen profitiert hat, stößt der Autor auf ein kaum vorstellbares Maß an Intransparenz. Aufsichtsbehörden und Regierungen wissen nicht genug oder sagen nicht, was sie wissen (das gibt der spanische Wirtschaftsminister zu), und Unternehmen verweigern unter Hinweis auf das Geschäftsgeheimnis die Auskunft.

Am Beispiel Irlands bringt der Film Licht in das Dunkel. Bis 2008 habe es in Irland den größten auf Pump finanzierten Immobilienboom aller Zeiten gegeben – mit dem Platzen der Blase und großen Leerständen waren alle 6 relevanten Banken des Landes pleite. Für die Bankenrettung waren insgesamt ca. 70 Mrd. € aufzubringen, allein die ANGLO IRISH BANK hat 30 Milliarden Euro an Schulden hinterlassen. Die EZB hat diese 30 Mrd. zur Verfügung gestellt – aufgrund fehlender Sicherheiten musste der irische Staat haften, Irland (das irische Volk) muss den Kredit an die EZB zurückzahlen. Die zentrale Bedingung der EZB für die Vergabe von Notkrediten war die vorrangige Bedienung aller Anleihen der Banken  - so steht es in einem Gutachten von Karl Whelan für das EU-Parlament, und EZB-Direktor Asmussen begründet das mit der Vermeidung der Ansteckung anderer. Ein irischer Abgeordneter (Stephen Donnelly) spricht von Kanonenbootpolitik der EZB, und der stellvertretende irische Finanzminister verweist darauf, dass den Iren die Lösung aufgezwungen wurde. So sind die Hilfsgelder für Irland nur durch Irland hindurchgeflossen. Vorrangig bedient wurden die Gläubiger, Bond-Holders, die den Banken Geld geliehen hatten – und denen über ein Clearingsystem Anonymität zugesichert wurde. Gerettet wurden also die Geldgeber der irischen Banken, die vor allem aus Deutschland, Frankreich und auch aus Großbritannien kommen. Schumann ist eine Liste mit 80 Adressen in die Hände gekommen – „das Who is Who der Finanzwelt“. Gerettet wurden also zunächst nicht die Iren, sondern international agierende Banken. Eine These des Films: Die Souveränität einer Nation wurde ausgehebelt, um die (ausländischen) Investoren freizukaufen.
Die irischen Schulden haben eine Dimension bekommen, die das Land kaum bewältigen kann. Behauptet wird, jeder irische Bürger vom Baby bis zum Greis müsse für die Bezahlung der irischen Staatsschulden im Ausland pro Monat ca. 300 € aufbringen. Der Lebensstandard ist um 25% gesunken, der Staat spart und kürzt bei sozialen Aufgaben. Der irische Abgeordnete Donnelly vermutet: Irland blutet langsam aus, wird die Schulden irgendwann nicht mehr bezahlen können und dann droht ein Schuldenschnitt. Einen solchen Schuldenschnitt lehnt die EZW ab (wegen der zu erwartenden Kettenreaktion, dann würden andere ihre Kredite auch nicht mehr zurückzahlen), hat aber dann doch einen Deal mit den Iren gemacht und einen Zahlungsaufschub genehmigt, der den Iren über 5-10 Jahre niedrigere Zinsen bringt und ca. 4-6 Mrd. an Zahlungen erspart.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble verteidigt die politische Strategie. Er sagt, die Iren hätten das ausländische Geld mit dem Versprechen auf niedrige Steuern und wenig Kontrolle angelockt, und der Staat und das Volk hätten eine Zeit lang profitiert. Jetzt hafte das Volk für die Folgen falscher Politik. Eine Beteiligung der Gläubiger beinhalte die Gefahr der Ansteckung und eines System-Zusammenbruchs. Diese vordergründig nicht völlig unplausible Sichtweise wirft aber zumindest Fragen auf, z. B.: (1) Wurde das Volk denn gefragt, in welchem Maße die Banken ausländisches Geld anlocken und in welche Immobilienprojekte sie es investieren sollen? (2) Hatte das Volk eine Chance, die Regulierung der Finanzmärkte und der Banken zu beeinflussen? (3) Haben alle Investoren und Spekulanten ein Recht auf die (am besten noch garantiert verzinste) Rückerstattung ihrer Anlage-Gelder, oder gibt es ein unternehmerisches Risiko? (4) Wenn die Lasten für das Volk zu hoch werden und die Kredite nicht mehr bedient werden – haftet dann in der gleichen Logik der Steuerzahler aus anderen Ländern? (5) Wenn denn der Staat und der Steuerzahler Unsummen in die Banken investieren – dürfen diese Gelder denn verschenkt werden oder müssen sie nicht in Eigentum umgewandelt werden, damit nach der erfolgreichen Sanierung nicht wieder Private ohne wirkliche Haftung kassieren?

Der Film befasst sich auch mit den Entwicklungen in Spanien und auf Zypern. In Spanien gab es wie in Irland keinen Versuch, die Gläubiger an den Kosten für die Folgen der Krise zu beteiligen. So hat allein die BANKIA 27 Mrd. € an Anleger zu zahlen – vor allem aus dem Ausland. BANKIA gilt als systemrelevant, die Benennung der von den Zahlungen Begünstigten verweigert die Regierung. Auf Zypern war die LAIKI Bank im Jahr 2012 bankrott, bekam aber 9 Mrd. € Notkredite der EZB. Bis zur endgültigen Pleite haben vor allem ausländische Anleger angeblich 10 Mrd. € von der Bank abgezogen – wer das war, ist natürlich unbekannt. Die Beteiligung von Eigentümern, Anlegern und Kunden der Bank an der Bewältigung der Pleite war damit verbunden, dass auch die Girokonten mit Betriebsmitteln einheimischer Unternehmer aus der Realwirtschaft betroffen waren. Das war nach Aussage des Gouverneurs der griechischen Zentralbank, Panicos O. Demetriades, eine Entscheidung der EZB. Der Finanzminister Zyperns, Harris Georgiades,  kritisierte in seinem Statement vor der Kamera: Das war eine Entscheidung der EURO-Gruppe nach dem Motto: „Friss oder stirb“. Wir standen unter Druck, für Verhandlungen gab es keine Zeit. Man hat uns die Kniescheiben gebrochen und jetzt sollen wir laufen.

Schumanns These lautet: Es werden in Zukunft Schuldenstreichungen nötig sein, weil sonst keine Investitionen vorgenommen werden (können). Ein immer größerer Teil der privaten Risiken wird auf die Staaten übertragen, bis der Tag kommt, an dem die Staaten selber ihre Schulden bei den reicheren Ländern nicht mehr bezahlen können. Dann tritt ein, was angeblich niemals kommen kann: Dann werden die Deutschen mit ihrem Steuergeld für die Risiken haften, die Investoren in anderen Staaten eingegangen sind. Dieses Geld kam zu großen Teilen aus Deutschland. Auf mehr (AIG in den USA, HRE in Deutschland) und auf weniger (BANKIA in Spanien, IRISH ANGLO BANK in Irland) öffentlichen Listen der bisher bedienten Gläubiger taucht immer die DEUTSCHE BANK auf – allein von der AIG (vom Staat der USA „gerettete“ Versicherung) hat die DEUTSCHE BANK 12,6  Mrd. erhalten. Es lässt sich wohl nicht bestreiten, dass die bisher noch von den jeweiligen Völkern finanzierte Rettung von Banken im Ausland letztendlich zur Rettung der Banken in Deutschland geführt hat. Und eine spätere potentielle Haftung (für den Fall von Zahlungsausfällen) scheint aus nationaler Sicht zumindest kurzfristig besser als eine akute reale Haftung. Insofern ist wohl auch etwas dran an dem Satz, es wäre Zeit gewonnen worden – die Frage ist nur, wie sie genutzt werden kann, um die Wucht der aufgeschobenen und nicht gelösten Probleme zu reduzieren.