Foto Edgar Einemann Prof. Dr. Edgar Einemann

Atomkraft, Kritik der Nutzung

Vor ungefähr 40 Jahren gab es zumindest 4 zentrale Argumente gegen den Bau von Atomkraftwerken: (1.) sind sie nicht sicher, (2.) würde die radioaktive Strahlung (insbesondere für den Fall von Problemen) nicht beherrschbar sein, (3.) drohe der Atomstaat, der diesen Technologie-Strang würde schützen müssen und (4.) sei die Kernenergie in der Gesamtbetrachtung keineswegs billig; die Kosten für Folgen von Störfällen und die Endlagerung der Abfälle sind nie wirklich eingepreist  worden (das entzieht sich ja auch - abgesehen vom menschlichen Leid - der Vorstellungskraft). Gefordert wurden eine Technik-Folgen-Abschätzung (TFA) und eine Diskussion der Verantwortbarkeit von nicht rückholbaren Entscheidungen, von denen über Jahrtausende eine Bedrohung der globalen Ökosysteme und der Menschheit  ausgehen kann.

Holger Strohm hat sein Buch zu den Gefahren der Atomtechnologie  mit mehr als 1.200 Seiten schon vor über 30 Jahren an die gesamte deutsche politische Elite in Parlamenten, Regierungen und Organisationen per Einschreiben verschickt - keiner kann behaupten, nichts gewusst zu haben. Doch alle  Warnungen wurden in den Wind geschlagen. Die Forderung nach dem Einstieg in die Solar-, Wind- und Wasserstofftechnologie wurde belächelt und ignoriert. Es wurde behauptet, Atomkraftwerke seien sicher und diese Art der Energiegewinnung sei billig. Die osteuropäischen Staaten des "realen Sozialismus" setzten übrigens auch schon sehr früh voll auf die Segnungen der Kernkraft.

Mitte 2017 wurde eher nebenbei gemeldet, die deutsche Industrie sei mit der Bewältigung der Endlagerung des Atommülls überfordert (zumal es die Unternehmen in hunderttausenden von Jahren ja vielleicht gar nicht mehr geben würde) - und der Staat übernimmt Risiko und Verantwortung für bescheidene 24 Mrd. €. Zu gleicher Zeit haben es Hacker anscheinend geschafft, in die Systeme amerikanischer Atomkraftwerke einzudringen.

Inzwischen gab es mindestens drei größere bekannt gewordene Unfälle mit Kernschmelzen  auf 3 Kontinenten (Harrisburg/USA, Tschernobyl/ex-UdSSR und Fukushima/Japan).

Fukushima

Die japanische Atomindustrie hat alles bestätigt, was die Kritiker der Kernenergie-Nutzung schon immer gesagt haben. Es handelt  sich (leider) um ein Lehrstück in Sachen Unternehmensethik, Verantwortung und gesellschaftliche Haftung. Erst wird ein vermeidbarer Schaden produziert, dann gelogen und vertuscht - und am Ende die eigene Pleite erklärt. Mit der Folge, dass die betroffenen Menschen und die Gesellschaft (der Staat)  sehen können, wie sie die Schädigungen von Mensch, Tier und Umwelt bewältigen und die benötigten Unsummen aufbringen.

Offensichtlich wäre die Katastrophe vermeidbar gewesen - das Betreiber-Unternehmen kannte die Risiken und ging sie ein, um ein Abschalten oder Auflagen zu verhindern. Berichtet wurde über ein Dokument, in dem das Unternehmen diesen Tatbestand eingesteht. >In dem Papier findet sich unter anderem das Eingeständnis, dass Tepco die Gefahren durch einen Tsunami kannte - und bewusst verheimlicht hat: "Es wurde befürchtet, dass das Kraftwerk sofort abgeschaltet worden wäre, falls Tsunami-Risikostudien enthüllt worden wären." Damit nicht genug: Tepco räumt in dem Report auch ein, gewusst zu haben, dass Maßnahmen gegen schwere Unfälle notwendig gewesen wären. Dies zuzugeben, hätte aber "gesetzgeberische Risiken" bedeutet.< (Spiegel Online vom 28.11.2012).

Unternehmen entscheiden sich dafür, Risiken einzugehen - wenn das Risiko dann eintritt, hat es eine für das Unternehmen unbeherrschbare Dimension, das Unternehmen macht Pleite und die Gesellschaft darf die Haftung übernehmen: >Folge von Fukushima: Japan verstaatlicht Atomkonzern Tepco... Tepco ist seit der Atomkatastrophe ruiniert. Der Konzern muss mehr als 1,5 Millionen Opfer des Reaktorunglücks entschädigen und das Atomkraftwerk Fukushima abschreiben. Hinzu kommen hohe Kosten für die Aufräumarbeiten.< (Spiegel Online vom 31.07.2012).

Nach der Katastrophe in Japan wurden Arbeiter ohne angemessene Ausrüstung in radioaktiv verseuchtes Wasser geschickt, bei 42% von 57.000 Kindern sind inzwischen Knoten an der Schilddrüse festgestellt worden (mit der entsprechenden Meldung, heute noch bei YouTube zu sehen,  stand das ZDF ziemlich alleine da), und die Fische im Meer vor dem Atomkraftwerk sind heute noch genauso verseucht vor anderthalb Jahren, weil zwei radioaktive Quellen die Tiere weiter vergiften. Die Presse berichtet über immer wieder weitere Quellen von radioaktiver Strahlung und ihrer globalen Verteilung. So wurde als Folge der japanischen Atomkatastrophe (in Fukushima im März 2011) über ein Jahr später vom Handelsblatt gemeldet: "Vor US-Küste Radioaktivität in Thunfisch nachgewiesen" (29.5.2012). Im August 2013 wurde von SPIEGEL ONLINE gemeldet, „dass radioaktiv verseuchtes Wasser aus dem Unglückskraftwerk Fukushima bereits seit zwei Jahren in den Pazifik fließt. Derzeit sickerten schätzungsweise 300 Tonnen verstrahltes Wasser pro Tag aus der zerstörten Atomanlage in den Ozean, erklärte ein Vertreter des Industrieministeriums“. Im März 2015 wurde der Nachweis von radioaktiven Spuren (Cäsium 134) aus Fukushima in Kanada gemeldet.

Aus Japan verlautet, „die Kontaminierung sei auf Bereiche nahe dem Kraftwerk beschränkt“. Es gibt Horror-Meldungen ohne Ende von verstrahlten Arbeitern, radioaktiven Fischen und strahlendem Grundwasser. Angeblich sind die Ursachen für das Einsickern des radioaktiven Wassers in den Boden und die Meeresverseuchung immer noch unklar, und das Eindringen von 400 Tonnen Grundwasser in das Reaktorgebäude pro Tag konnte bisher nicht gestoppt werden. Jetzt soll angeblich „ein unterirdischer Wall aus gefrorenem Boden um die Reaktorgebäude errichtet werden“ – mit 1,4 Kilometer Länge für rund 410 Millionen Dollar. Der Bau eines solchen Schutzwalls sei auf der Welt beispiellos – das meint wohl auch: niemand kennt die Wirkungen und die Folgen. Vielleicht bietet sich ja zur Produktion der erforderlichen Energie der Bau eines neuen Atomkraftwerkes an?

Ende September 2013 hatte sich der ZDF-Korrespondent Johannes Hano um eine wenig emotionale Einschätzung der Lage bemüht und den „Alarmismus“ der Panikmacher kritisiert. Er verwahrte sich gegen das Vermischen von Fakten mit Halbwahrheiten, kritisiert unseriöse und unwissenschaftliche Behauptungen und hielt eine Verstrahlung von Fischen oder ein erhöhte Kindersterblichkeit in Amerika für ebenso unwahrscheinlich wie ein drohendes Höllenfeuer. Ende Oktober 2013 gab es dann starke Regenfälle, zunächst drohte „nur“ verstrahltes Wasser auszutreten. Dann kamen zumindest ein Orkan und ein Hurrikan auf die japanische Küste zu – mit kaum kalkulierbaren Folgen.
Aufklärung bot dann das ZDF im Heute-Journal am 25.10.2013. Johannes Hano berichtete von der Sorge, dass die Gebäude zusammenbrechen und die abgebrannten  Brennelemente, die dort in den Abklingbecken lagern, freigelegt werden könnten. Aber die kursierenden Weltuntergangsszenarien bezeichnete er als „unwissenschaftlichen Quatsch“. Allerdings: „Die ganz reale Gefahr ist, dass, wenn diese Gebäude zusammenbrechen durch ein Erdbeben und diese Brennelemente freigelegt werden, dass sich über hunderte von Jahren niemand dieser Region auch nur nähern kann, weil die Strahlung so hoch ist, dass man sofort sterben würde. Und diese Gefahr ist nach wie vor real, aber sie ist sehr lokal begrenzt. Und wir können und müssen auch hier hoffen, dass das niemals passiert, denn das könnte wirklich langfristig große Folgen vor allem aber für die Region Fukushima und Japan haben.“

Ende 2017 hat sich - überraschend (!?) - herausgestellt, dass die radioaktive Belastung des Wassers vor Fukushima um das zehnfache übertroffen wird - von Brackwasser unter dem Strand von Japans Küsten, die bis zu 100 Km von Fukushima entfernt sind.

Im Oktober 2020 wird gemeldet, das Problem mit den Millionen von Tonnen an kontaminiertem Wasser solle schlichtweg durch die Einleitung ins Meer gelöst werden.

Verstrahlung als globales Problem

Es ist etwas verwegen, eine unbeherrschbare Atomruine mit stark strahlenden freigelegten abgebrannten Brennstäben und eine für hunderte von Jahren unbetretbare Region für ein Problem von ausschließlich lokaler Dimension zu halten. Die "lokalen Probleme" der Verstrahlung sind an vielen Stellen der Welt nicht wirklich unter Kontrolle. Für Europa vermittelt z. B. der Dokumentarfilm "Albtraum Atommüll" von 2009 einen kleinen Eindruck von der angeblichen Lösung der Frage der Endlagerung von Atommüll. Nur zwei weitere Beispiele: Für das deutsche Atommülllager Asse in Niedersachsen warnte ein Strahlenexperte am 24.9.2012 vor einer "Mission Impossible" - bei der geplanten Bergung von 126.000 Fässern drohe ein unkontrollierter Austritt von Radioaktivität. Am 25.9.2012 notierte der Spiegel unter Berufung auf die ARD-Sendung Report aus Mainz: "Russische Experten warnen vor einer nuklearen Katastophe: In den Reaktor eines versenkten U-Bootes könnte Wasser sickern. Im schlimmsten Fall drohe eine nukleare Kettenreaktion und die radioaktive Verseuchung der Barentssee".

Im März 2013 hat SPIEGEL ONLINE eine Übersicht über die globalen Planungen zum Ausbau der Atomenergie gegeben. Russland und die USA, aber auch China und Indien stehen an der Spitze der Bewegung – und die EU-Kommission plant angeblich eine verstärkte Subventionierung der Kernenergie. Von einer wirklichen Renaissance der Atomkraft kann wohl keine Rede sein, aber schon die „Altlasten“ machen Probleme genug. Und die bisherige Nicht-Lösung dieser Probleme z. B. in Fukushima belegt leider die These von der Unverantwortbarkeit von Technologie-Entscheidungen, deren Folgen unbeherrschbar sind bzw. sein können.

Eine  "offizielle" EU-Studie kam im Jahr 2012  zu dem Ergebnis, dass auch die in Europa laufenden Atomkraftwerke erhebliche Sicherheitsprobleme haben und massive Nachrüstungen erforderlich sind.

Besonders gefährliche Quellen der radioaktiven Verseuchung und die davon ausgehenden globalen Gefahren werden heute dank erhöhter Sensibilität, guter Messmethoden und der global vernetzten Medien schnell bekannt.

Das Märchen von der sicheren und billigen Atomkraft ist zu Ende, aber viele Probleme bleiben. Die Unfälle und die Strahlung haben wir schon mal. Teuer und leidvoll ist es alles auch. Die Atomkonzenre scheinen sich aus der Verantwortung stehlen zu wollen, indem sie für das "Atom-Geschäft" (oder besser: Die drohende Atom-Pleite) eigene Gesellschaften gründen, die nicht einmal den Rückbau finanzieren können und die Kosten dafür schon mal dem Steuerzahler aufbürden wollen. Das Problem der Endlagerung des Atommülls wird auf einen Zeitraum vertagt, der über 150 Jahre in der Ferne liegt.

Sind all diejenigen noch zur Stelle, die den Einstieg in die Atomtechnologie für verantwortbar und die Gefahren für marginal oder beherrschbar hielten? Es ist keine Freude, Recht gehabt zu haben.  Hoffentlich behalten wir nicht am Ende auch mit der Warnung vor den Gefahren eines "Atomstaats" (das ist der Titel eines 1977 erschienenen Buches von Robert Jungk) Recht.

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