Atomkraft, Kritik der Nutzung
Vor ungefähr 40 Jahren gab es zumindest 4
zentrale Argumente gegen den Bau von Atomkraftwerken: (1.) sind sie
nicht sicher, (2.) würde die radioaktive Strahlung (insbesondere für den Fall von
Problemen) nicht beherrschbar sein, (3.) drohe der Atomstaat, der diesen
Technologie-Strang würde schützen müssen und (4.) sei die Kernenergie in
der Gesamtbetrachtung keineswegs billig; die Kosten für Folgen von
Störfällen und die Endlagerung der Abfälle sind nie wirklich eingepreist
worden (das entzieht sich ja auch - abgesehen vom menschlichen Leid -
der Vorstellungskraft). Gefordert wurden eine Technik-Folgen-Abschätzung
(TFA) und eine Diskussion der Verantwortbarkeit von nicht rückholbaren
Entscheidungen, von denen über Jahrtausende eine Bedrohung der globalen
Ökosysteme und der Menschheit ausgehen kann.
Mitte 2017 wurde eher nebenbei gemeldet, die deutsche Industrie sei mit der Bewältigung der Endlagerung des Atommülls überfordert (zumal es die Unternehmen in hunderttausenden von Jahren ja vielleicht gar nicht mehr geben würde) - und der Staat übernimmt Risiko und Verantwortung für bescheidene 24 Mrd. €. Zu gleicher Zeit haben es Hacker anscheinend geschafft, in die Systeme amerikanischer Atomkraftwerke einzudringen.
Inzwischen gab es mindestens drei größere bekannt gewordene Unfälle mit Kernschmelzen auf 3 Kontinenten (Harrisburg/USA, Tschernobyl/ex-UdSSR und Fukushima/Japan).
Fukushima
Die japanische Atomindustrie hat alles bestätigt, was die Kritiker der Kernenergie-Nutzung schon immer gesagt haben. Es handelt sich (leider) um ein Lehrstück in Sachen Unternehmensethik, Verantwortung und gesellschaftliche Haftung. Erst wird ein vermeidbarer Schaden produziert, dann gelogen und vertuscht - und am Ende die eigene Pleite erklärt. Mit der Folge, dass die betroffenen Menschen und die Gesellschaft (der Staat) sehen können, wie sie die Schädigungen von Mensch, Tier und Umwelt bewältigen und die benötigten Unsummen aufbringen.
Offensichtlich wäre
die Katastrophe vermeidbar gewesen - das Betreiber-Unternehmen kannte
die Risiken und ging sie ein, um ein Abschalten oder Auflagen zu
verhindern. Berichtet wurde über ein Dokument, in dem das Unternehmen
diesen Tatbestand eingesteht. >In dem Papier findet sich unter
anderem das Eingeständnis, dass Tepco die Gefahren durch einen Tsunami
kannte - und bewusst verheimlicht hat: "Es wurde befürchtet, dass das
Kraftwerk sofort abgeschaltet worden wäre, falls Tsunami-Risikostudien
enthüllt worden wären." Damit nicht genug: Tepco räumt in dem Report
auch ein, gewusst zu haben, dass Maßnahmen gegen schwere Unfälle
notwendig gewesen wären. Dies zuzugeben, hätte aber "gesetzgeberische
Risiken" bedeutet.<
(Spiegel Online vom 28.11.2012).
Unternehmen entscheiden sich dafür, Risiken
einzugehen - wenn das Risiko dann eintritt, hat es eine für das
Unternehmen unbeherrschbare Dimension, das Unternehmen macht Pleite und
die Gesellschaft darf die Haftung übernehmen: >Folge von Fukushima:
Japan verstaatlicht Atomkonzern Tepco... Tepco ist
seit der Atomkatastrophe ruiniert. Der Konzern muss mehr als 1,5
Millionen Opfer des Reaktorunglücks entschädigen und das Atomkraftwerk
Fukushima abschreiben. Hinzu kommen hohe Kosten für die Aufräumarbeiten.<
(Spiegel
Online vom 31.07.2012).
Nach der Katastrophe in Japan wurden
Arbeiter ohne angemessene Ausrüstung in radioaktiv verseuchtes Wasser
geschickt, bei 42% von 57.000 Kindern sind inzwischen Knoten an der
Schilddrüse festgestellt worden (mit der entsprechenden Meldung,
heute noch bei YouTube zu sehen, stand das ZDF ziemlich
alleine da), und die Fische im Meer vor dem Atomkraftwerk sind heute
noch genauso verseucht vor anderthalb Jahren, weil
zwei radioaktive Quellen die Tiere weiter vergiften.
Aus Japan verlautet, „die Kontaminierung sei auf Bereiche nahe dem Kraftwerk beschränkt“. Es gibt Horror-Meldungen ohne Ende von verstrahlten Arbeitern, radioaktiven Fischen und strahlendem Grundwasser. Angeblich sind die Ursachen für das Einsickern des radioaktiven Wassers in den Boden und die Meeresverseuchung immer noch unklar, und das Eindringen von 400 Tonnen Grundwasser in das Reaktorgebäude pro Tag konnte bisher nicht gestoppt werden. Jetzt soll angeblich „ein unterirdischer Wall aus gefrorenem Boden um die Reaktorgebäude errichtet werden“ – mit 1,4 Kilometer Länge für rund 410 Millionen Dollar. Der Bau eines solchen Schutzwalls sei auf der Welt beispiellos – das meint wohl auch: niemand kennt die Wirkungen und die Folgen. Vielleicht bietet sich ja zur Produktion der erforderlichen Energie der Bau eines neuen Atomkraftwerkes an?
Ende September 2013 hatte sich der ZDF-Korrespondent Johannes Hano um eine wenig emotionale Einschätzung der Lage bemüht und den „Alarmismus“ der Panikmacher kritisiert. Er verwahrte sich gegen das Vermischen von Fakten mit Halbwahrheiten, kritisiert unseriöse und unwissenschaftliche Behauptungen und hielt eine Verstrahlung von Fischen oder ein erhöhte Kindersterblichkeit in Amerika für ebenso unwahrscheinlich wie ein drohendes Höllenfeuer. Ende Oktober 2013 gab es dann starke Regenfälle, zunächst drohte „nur“ verstrahltes Wasser auszutreten. Dann kamen zumindest ein Orkan und ein Hurrikan auf die japanische Küste zu – mit kaum kalkulierbaren Folgen.
Aufklärung bot dann das ZDF im Heute-Journal am 25.10.2013. Johannes Hano berichtete von der Sorge, dass die Gebäude zusammenbrechen und die abgebrannten Brennelemente, die dort in den Abklingbecken lagern, freigelegt werden könnten. Aber die kursierenden Weltuntergangsszenarien bezeichnete er als „unwissenschaftlichen Quatsch“. Allerdings: „Die ganz reale Gefahr ist, dass, wenn diese Gebäude zusammenbrechen durch ein Erdbeben und diese Brennelemente freigelegt werden, dass sich über hunderte von Jahren niemand dieser Region auch nur nähern kann, weil die Strahlung so hoch ist, dass man sofort sterben würde. Und diese Gefahr ist nach wie vor real, aber sie ist sehr lokal begrenzt. Und wir können und müssen auch hier hoffen, dass das niemals passiert, denn das könnte wirklich langfristig große Folgen vor allem aber für die Region Fukushima und Japan haben.“
Ende 2017 hat sich - überraschend (!?) - herausgestellt, dass die radioaktive Belastung des Wassers vor Fukushima um das zehnfache übertroffen wird - von Brackwasser unter dem Strand von Japans Küsten, die bis zu 100 Km von Fukushima entfernt sind.
Im Oktober 2020 wird gemeldet, das Problem mit den Millionen von Tonnen an kontaminiertem Wasser solle schlichtweg durch die Einleitung ins Meer gelöst werden.
Verstrahlung als globales Problem
Es ist etwas verwegen, eine unbeherrschbare Atomruine mit stark strahlenden freigelegten abgebrannten Brennstäben und eine für hunderte von Jahren unbetretbare Region für ein Problem von ausschließlich lokaler Dimension zu halten. Die "lokalen Probleme" der Verstrahlung sind an vielen Stellen der Welt nicht wirklich unter Kontrolle. Für Europa vermittelt z. B. der Dokumentarfilm "Albtraum Atommüll" von 2009 einen kleinen Eindruck von der angeblichen Lösung der Frage der Endlagerung von Atommüll. Nur zwei weitere Beispiele:
Im März 2013 hat SPIEGEL ONLINE eine Übersicht über die globalen Planungen zum Ausbau der Atomenergie gegeben. Russland und die USA, aber auch China und Indien stehen an der Spitze der Bewegung – und die EU-Kommission plant angeblich eine verstärkte Subventionierung der Kernenergie. Von einer wirklichen Renaissance der Atomkraft kann wohl keine Rede sein, aber schon die „Altlasten“ machen Probleme genug. Und die bisherige Nicht-Lösung dieser Probleme z. B. in Fukushima belegt leider die These von der Unverantwortbarkeit von Technologie-Entscheidungen, deren Folgen unbeherrschbar sind bzw. sein können.
Eine "offizielle"
EU-Studie kam im Jahr 2012 zu dem Ergebnis, dass auch die in
Europa laufenden Atomkraftwerke erhebliche Sicherheitsprobleme haben und
massive Nachrüstungen erforderlich sind.
Besonders gefährliche Quellen der radioaktiven Verseuchung und die davon ausgehenden globalen Gefahren werden heute dank erhöhter Sensibilität, guter Messmethoden und der global vernetzten Medien schnell bekannt.
Das Märchen von der sicheren und billigen Atomkraft ist zu Ende, aber viele Probleme bleiben. Die Unfälle und die Strahlung haben wir schon mal. Teuer und leidvoll ist es alles auch. Die Atomkonzenre scheinen sich aus der Verantwortung stehlen zu wollen, indem sie für das "Atom-Geschäft" (oder besser: Die drohende Atom-Pleite) eigene Gesellschaften gründen, die nicht einmal den Rückbau finanzieren können und die Kosten dafür schon mal dem Steuerzahler aufbürden wollen. Das Problem der Endlagerung des Atommülls wird auf einen Zeitraum vertagt, der über 150 Jahre in der Ferne liegt.
Sind all diejenigen noch zur Stelle, die den
Einstieg in die Atomtechnologie für verantwortbar und die Gefahren für
marginal oder beherrschbar hielten?
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